TLV-Story: Riccardo Klotz – ehrlich, echt, unbequem
„Müde, gespannt, neugierig“ – so beschreibt sich Ricci heute selbst. Und beschreibt damit ziemlich genau den Punkt, wo er derzeit steht: zwischen Aufbruch und Atempause, zwischen Rückspiegel und Zukunftsblick. Von außen betrachtet ist "Ricci" Klotz einer dieser Athleten, denen man den Sport zugetraut hätte, bevor sie überhaupt gehen konnten. Am 15. Jänner 1999 geboren, schien dem Scharnitzer der Weg in den Spitzensport früh vorgezeichnet. Doch Ricci selbst sieht das anders: Er nennt sich einen Spätzünder. Mit 14 Jahren war er noch weit entfernt, sportlich den Takt vorzugeben. Er war körperlich später dran als viele Gleichaltrige.
"Ich hab noch nicht gezündet", sagt er rückblickend – und meint es nicht kokett. Heute ist er alt genug, um Bilanz zu ziehen, und jung genug, um große Ziele zu haben: Olympische Spiele 2028, Weltmeisterschaften, ein österreichischer Rekord im Stabhochsprung (aktuell 5,77 m). Und doch ist da keine typische Aufbruchsstimmung – sondern eine tiefe Ehrlichkeit darüber, wie schwierig der Weg dorthin wirklich ist.
Pause statt Durchbeißen
Fünf Monate Pause gönnte sich der Tiroler – freiwillig, aber nicht leichtfertig. „Ich bin einfach nach der Freiluftsaison 2024 nicht ins Training zurückgekehrt, hab die Pause verlängert. Und sage im Nachhinein: Es war das Beste.“
Der mentale Tiefpunkt kam nach einer langen Verletzungsphase, einem Meniskuseingriff im September 2023 und einer durchwachsenen Hallensaison 2024.
„Ich bin im Wettkampf gestanden und hatte kein Adrenalin mehr. Da wusste ich, dass etwas schief ist.""
Die EM-Qualifikation für München war das sportliche Highlight 2022. Folgend brauchte es schon zwei Red Bull, um Aggressivität und Hype auf die Bahn zu bringen. Es folgte ein Strudel, aus dem es auszusteigen galt – Monate später. 2023 versuchte er alles besser zu machen. Trotzdem ging es bergab. Im Nachhinein war es vielleicht immer ein bisschen zu wenig Pause („man ist nicht mehr 18, sondern 24“). Eine Meniskus-Operation im September 2023 brachte Nachwehen, die keine Hallensaison zuließen. Es folgte eine „durchmurkste Saison 2024, die Andere schon lange aufgegeben hätten.“
Nach fünf Monaten Wettkampfpause meldete sich Ricci im Februar 2025 zurück. „Die Pause hat mir gutgetan!“ Seitdem lässt er uns alle, tagbuchähnlich via Instagram, an seinem Comeback teilhaben.
Rückkehr mit Gefühl – Riccis leises Comeback
Riccardo hat viele Athleten gesehen, die aufgehört haben. Nicht, weil die Energie weg war, sondern weil das persönliche Kontingent an Rückschlägen aufgebraucht war. „Die können dann nicht mehr, obwohl sie eigentlich noch könnten.“
Bei Ricci war dieses Kontingent noch nicht erreicht – auch wenn es knapp war. Deshalb geht es Tirols Paradeleichtathlet jetzt vorsichtiger an. Mit kleinen Zielen und längerem Aufbau. Unter Coach und Vater Thomas Neuhauser entsteht ein Setup, das wachsen darf. Ziel für 2025 ist, den Wettkampfanlauf wieder zu etablieren. 18 Schritte – wenn er bereit ist.
Über 100 Tage ist Ricci Klotz nun wieder im Training – und vieles fühlt sich noch immer ungewohnt an. „Es ist ganz komisch, wieder alles machen zu können, was ich will.“ Zu lange drehte sich alles darum, was gerade nicht möglich ist. Jetzt soll diese neue Freiheit wieder Normalität werden. Sein Comeback? Kein großes Tam-tam, kein „Hirscher“-Moment, wie er selbst augenzwinkernd sagt. Stattdessen ein vorsichtiges Hineintasten. „Wie junge Liebe – man schaut erst mal, wie es sich anfühlt.“
Und genau so stieg er auch wieder ins Wettkampfgeschehen ein – leise, fast unbemerkt. Beim „Touch the Clouds“-Festival in München stand er erstmals wieder an der Wettkampfanlage. Kein Nuller war die nieder gehaltene Erwartung. Mit 5,35 m stieg er schlussendlich besser ein denn je.
Schnell stellte sich im Alltag wieder das typische Sportler-Gefühl ein. „Du kommst nicht viel raus, du gehst einfach jeden Tag ins Training – es ist immer das Gleiche. Und genau das gibt auch Halt.“
Vielleicht ist Riccardo heute manches mehr egal als früher, vielleicht, weil es keine „Comeback-Saison“ im klassischen Sinn ist. Keine große Rückkehr, kein Statement. Eher ein Hineinschnuppern nach langer Reha-Phase.„Ich fange jetzt einfach wieder an, mit Trainingswettkämpfen, Schritt für Schritt.“
Wie viel Spaß ist notwendig? Wie viel Ernst braucht es, um ganz vorne mitzuspielen? „Ich spiel im Moment eh noch nicht ganz vorne mit. Ich bin am Experimentieren. Das ist für mich ein großes Thema.“ Es geht aktuell weniger darum, den österreichischen Rekord zu jagen. Vielmehr will er ein funktionierendes System finden – den Weg zu „50 Prozent Spaß und 70 Prozent Ernst.“ Das sagt er lachend – und meint es doch ernst.
Zwischen Herzblut, Studienplan & Idealsetup
Weil Ricci das Geld für das Casino fehlt, wird der erste Prüfungsantritt an der Uni manchmal zum kleinen Glücksspiel. Im Stabhochsprung hat er drei Versuche, bei Prüfungen nimmt er den ersten mittlerweile lockerer, aber auf den dritten will er es trotzdem nicht ankommen lassen.
Auch wenn er den Stabhochsprung momentan nicht als seinen Job sieht, ist es längst mehr als ein ambitioniertes Hobby. Unter der Woche fragt ihn niemand mehr, ob er Zeit für eine Runde Beachvolleyball hätte. Nach dem Training schaut’s dann schon anders aus. In den letzten zwei Jahren hat sich das alles zunehmend zugespitzt. Jetzt versucht Ricci, eine funktionierende Balance zwischen Sport und Studium zu finden. Nächstes Semester soll der Bachelor abgeschlossen sein. Dann wäre er akademisch bereit, erstmal wieder einen Schritt zurückzumachen – und sportlich einen nach vorne. Dafür müssen heuer 30 ECTS her. „Aktuell hole ich so 90 Prozent des Möglichen raus“, beschreibt er selbst sein Setup. Nach dem Abschluss will er sich mehr Freiraum schaffen. Zum Beispiel für zusätzliche Trainingslager und zum langsamen Aufbau seines Idealsetup. Für 2025 steht Spaßhaben, Reinkommen in die Saison und vor allem verletzungsfrei bleiben im Vordergrund.
Tiroler Athletensprecher mit Augenzwinkern und Ernst
Als Athletensprecher ist Riccardo Klotz eine der prägenden Stimmen der Szene. Jemand, der nicht nur mit Herzblut im Stabhochsprung-Anlauf steht, sondern auch abseits davon etwas bewegen will.
„Wir brauchen mehr Trainer:innen, die starke (Nachwuchs-)Gruppen bilden, mehr Fokus auf den Spitzensport legen – und ja - mehr Geld oder einen großen Sponsor an Land ziehen. Damit lässt sich Vieles lösen.“
Leichtathletik ist für ihn nicht immer attraktiv, gerade für Athlet:innen, die aus den Nachwuchsklassen herauswachsen. „Aber ich finde mich schon sehr attraktiv“, scherzt Ricci mit einem Augenzwinkern. Er glaubt an den Sport und das Potential, das in Tirol steckt. Trotz aller Herausforderungen, trotz Rückschlägen und Entbehrungen. In seiner Rolle als Athletensprecher bekommt er nun starke Unterstützung: Mit Lea Germey und Madeleine Huber steht ihm geballte Frauenpower zur Seite. Ein starkes Team für eine starke Sache.
Riccardo Klotz - ein waschechter Tiroler mit Leidenschaft fürs „Staberlspringen“. Einer, der nicht einfach zurückkommt, sondern sich neu erfindet. Nicht mit einem großen Knall, aber mit Beständigkeit, mit Herzblut, mit Blick für das, was kommt.
Am kommenden Samstag wird er als Lokalmatador bei der Golden Roof Challenge im Anlauf stehen. Bei der 21. Auflage der Kultveranstaltung warten 5,20 m als Einstiegshöhe und ein internationales Starterfeld in der Maria-Theresien-Straße auf ihn.
Fotos: (c) Photo Plohe
(c) ÖLV / Podesser
(c) ÖLV / Richard Pflanzl
04/06/25 09:33, Text: Olivia Raffelsberger
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